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WIR BEGEHEN HEUTE DEN GRÖSSTEN MASSENMORD ALLER ZEITEN


Weshalb schreibt jemand ein Buch, in dem es offenbar darum geht, die ganze Menschheit umzubringen? Gehört ein Autor wie Sie nicht in Therapie?

Ein altes chinesisches Sprichwort heißt: "Wenn wir ohnehin sterben müssen – warum bringen wir uns dann schon vorher um?" Gut, nicht?

Heute zerstört die Menschheit wissentlich und mit immer heftigerer Intensität ihre eigenen Lebensgrundlagen bzw. die allen Lebens auf Erden. Wir gehen gegen die Erde vor, als wäre sie unser erbittertster Feind und als könnten wir auf und davon, wenn sie einmal besiegt ist. Dabei werden wir alle draufgehen. Dieses Buch ist geschrieben aus tiefer Sorge um unsere Welt, die ich bestimmt mit sehr vielen Menschen teile. Was im GIGAMORD erzählt wird, ist leider nichts wirklich Neues und Perverses, zumindest nicht perverser als das, was heute global vor sich geht. Die Menschheit ist offenbar nicht mehr bei klarem Verstand, ist hochgradig suizidal unterwegs, bringt sich millionen- (mega) und bald milliardenweise (giga) um – und da fragen Sie mich, ob ich in Therapie gehöre? Die Frage ist doch eher, ob die Menschheit nicht in Therapie gehört.


In Ihrem Buch lassen Sie hunderte Millionen Menschen in Ostafrika und Arabien mir nichts dir nichts ums Leben kommen. Der Täter, ein gewisser Johannes, spricht dabei von einem humanen Akt der Euthanasie. Das können Sie doch nicht ernst meinen?

Erstens: Nicht ich spreche von Euthanasie, es ist meine Figur Johannes, die das tut. Das dürfen Sie nicht verwechseln. Zweitens: Wenige Menschen im Westen haben auch nur ein blasse Vorstellung davon, was absolute Armut bedeutet. Für uns sind das doch nur noch trockene, gefühllose Daten in Statistiken. Als in den Medien die Meldung kam, die Zahl der absolut Armen und Hungernden sei infolge der Finanzkrise auf eine Milliarde gestiegen, eine weitere Milliarde ist chronisch mangelernährt, war das eine Randnotiz in unseren Medien. Doch hinter dieser Zahl verbirgt sich ein solches Grauen und Entsetzen, dass nicht zu verstehen ist, weshalb wir das einfach so hinnehmen, obwohl wir es verhindern könnten. Uns interessieren die Wachstumsraten, die Börsenkurse und die Arbeitslosenzahlen, oder – noch armseliger – die neuen Automodelle von Fiat/Chrysler/Opel, die Rettung der Arbeitsplätze, die peinlichen Absonderungen von Heidi Klum und Dieter Bohlen, mehr nicht.

Doch wem schon einmal ein verhungerndes Kind in den Armen gestorben ist, ein dürrer kleiner Körper, ein Drittel so schwer wie ein gesundes europäisches Kind, der versteht die Weltwirtschaft nicht mehr, die Prioritäten in Politik und Wirtschaft, die Interessen der Millionen von Menschen in den reichen Konsumgesellschaften. Das alles ist nichts anderes als Hybris und Hohn und zeugt vom Zerfall jeglicher ethischer Werte.

Wie viel Leiden und Schmerzen sich hinter dieser Armutszahl verbirgt, ist jenseits jeder Vorstellungskraft. Ein paar Beispiele zur Illustration? Sie müssen sich einen Zahn ziehen lassen ohne Narkose. Oder Sie haben Krebs und müssen daran zugrunde gehen ohne Morphium. Man muss Ihnen ein Bein amputieren oder eine Wunde zunähen ohne Schmerzmittel. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind verhungert oder es stirbt an einem simplen Durchfall. Stellen Sie sich vor, sie haben immer Hunger, denken an nichts anderes und sind den ganzen Tag unterwegs, um irgendwas Essbares zu besorgen. Müde, kraftlos, hungrig. Immer! Das ist entsetzliches, lebenslängliches und ohnmächtiges Leiden, und es ist unerträglich, dass es uns nicht wirklich interessiert! Es hat noch nie ein solches Ausmaß an Elend auf Erden gegeben, aller hehren Milleniums-Ziele und Entwicklungsprogramme zum Trotz. Eine Milliarde Menschen hungern, so viele, wie 1804 lebten. Zwei Milliarden leben in großer, wenn auch nicht absoluter Armut. Insofern ist es doch naheliegend, dass Johannes von Euthanasie spricht.

Es wäre auch anders möglich und mit dieser Aussage bin ich in nobler Gesellschaft: Thomas Morus, Immanuel Kant, der Gerechtigkeitsphilosoph John Rawls sagen das, und eine unzählige Menge kluger Menschen. In neuster Zeit etwa Thomas Pogge, der engagierte deutsch-amerikanische Philosoph, der in Yale lehrt, bringt es auf den Punkt: Es ginge auch anders, das Leid wäre recht leicht aus der Welt zu schaffen. Die Zerstörung aufzuhalten ist möglich. Wir haben die Mittel in der Hand, wir müssen sie nur anwenden. (Vgl. DIE ZEIT 23.04.09). Aber genau das weigern wir uns zu tun. Auch ein buddhistischer Mönch namens Tenzin Gyatso, der Dalai Lama, lebt, lehrt und schreibt gegen die Hybris der Menschheit an und fordert:
"Wir müssen handeln, bevor es zu spät ist. ("Meine spirituelle Autobiografie", S. 157)

Die Zerstörung unserer Umwelt führt zu einer unumkehrbaren Zerstörung unseres gesamten Planeten." (eda., S. 164)

Sie sagen in Ihrem Buch, die Menschheit habe die Aufenthaltserlaubnis auf dem Planeten verwirkt, die Menschen verdienten die Erde nicht, unsere Talente seien an uns verschleuderte Schätze. Und deshalb wollen Sie gleich die ganze Menschheit umbringen?

Noch einmal: Nicht ich sage das, sondern meine Figur Johannes, der GIGAMÖRDER sagt das. Und andere, bedeutendere haben es vor ihm gesagt. Vor ein paar Jahren sagte Günter Grass in einem Weltwoche-Interview:

"Die Vorhersage des Menschheitsendes ist eine angemessene, auch demutsvolle Einsicht in die Tatsachen, die sich aus unserem Verhalten ergeben. Wir sind zu allem Möglichen fähig in einer Beschleunigung ohnegleichen. Technische Erfindungen kommen über uns, die wir nicht beherrschen. Wir haben nicht gelernt, zu dem, was wir können, aus Vernunft Nein zu sagen. Die Erkenntnis, dass es zu Ende geht, kann sich jedoch mit dem Wunsch verbinden, dass wir den Erdball wenigstens auf erträgliche Art und Weise verlassen."

Das könnte mein Johannes gesagt haben. Oder der französisch-rumänische Philosoph Emile Cioran, der konsequenteste und unglaublichste aller Pessimisten und Nihilisten des 20. Jahrhunderts:

"Die Menschen sind mir zuwider, wenn ich allmächtig wäre, Gott oder Teufel, würde ich den Menschen ausschalten. Ich bin nicht stolz darauf, ein Mensch zu sein." (In: Die verfehlte Schöpfung)
Die Idee, die Menschheit wegen ihrer Unerträglichkeit zu eliminieren, ist also nicht neu, denken Sie nur an die Apokalypsen-, Sintflut- und Gomorrha-Geschichten in der Bibel. Leider hat mein Johannes ja nicht Unrecht. Schauen Sie sich den Zustand der Erde an, schauen Sie sich die Geschichte der Menschheit an, schauen Sie sich an, wie hilflos wir den Entwicklungen, wohlgemerkt, den von uns gemachten Entwicklungen, gegenüberstehen, schauen Sie, wie starrköpfig wir am desaströsen Kurs festhalten, wissend, dass er in die globale Katastrophe führt. Peter Sloterdijk sagt das so trefflich:
"Die Vernunft der Nationen erschöpft sich noch immer in dem Bemühen, Arbeitsplätze auf der Titanic zu erhalten." ("Du musst Dein Leben ändern", S. 708)

Wir scheinen schlicht zu blöd, um den Planeten nicht komplett zu ruinieren und uns selbst die Lebensgrundlage zu zerstören. Wenn das nicht außerordentlich dumm und hirnrissig ist! Yann Arthus Bertrand gibt uns in seinem neuen Film HOME über die Lage des Planeten noch 10 Jahre Zeit für die radikale Umkehr. Deshalb liegt es nahe, kurzen Prozess zu machen, meine Figur glaubt das, und ich wette, auch einige Terroristen und unverbesserliche Militärstrategen glauben das. Wir werden es sehen.


Sind Sie ein solcher Misanthrop, wie es den Anschein macht?

Nein, nein, nein. Schauen Sie uns Menschen an, die vielen Einzelnen meine ich, die ihre mikrigen, kurzen Leben mehr schlecht als recht über die Bühne zu bringen versuchen. Die meisten sind ganz liebe Kerlchen, die nie etwas Böses tun, und die meisten scheitern jämmerlich an sich selbst: Geldprobleme, Berufsprobleme, Beziehungsprobleme, Gewichtsprobleme, Altersprobleme, Gesundheitsprobleme, Sterbeprobleme. Nichts will ihnen recht gelingen. Und wenn mal was klappt, dann sind sie mächtig stolz auf sich und machen auf Gorilla. Dann stopfen sie plötzlich Kaviar in sich rein und kaufen sich dicke Uhren, flotte Schlitten und Männer auch mal 'ne russische Nutte. Mehr ist nicht. Das ist verdammt armselig. Das hat nichts mit Reichtum zu tun.

Dafür den Planeten zu opfern, das ist ein unerhört hoher Preis.

Aber die vielen, einzelnen Menschen, wie sie sich da durch ihre Mickymaus-Leben kämpfen auf einem langen Weg, diese Wesen sind rührend, liebenswert und beschützenswert. Die Menschheit jedoch in ihrer Gesamt-Raserei, die ist höchstbedenklich und außerordentlich beängstigend. Es ist doch jammerschade, dass wir mit unserem massenhaften Auftritt die Erde ruinieren, diesen wunderbaren Blauen Planeten, der so unerhört klein und verletzlich geworden ist. Demnächst trampeln sieben Milliarden Menschen darauf herum, wie von Sinnen. Rumgetrampel, Brandschatzung, Randale, Vandalismus, das sind die Worte meines Johannes, die unseren Auftritt auf Erden angemessen beschreiben.

Ich hasse die Menschen nicht. Sagen wir so, ich bemitleide uns, wir sind im wahrsten Sinne tragische Figuren. Ich finde uns irgendwo süß, aber eben nur so süß wie man auch Kakerlaken süß finden kann. Auch die strampeln sich um ihre kleinen Leben ab, bis der Kammerjäger kommt. Mehr nicht. Unser Kammerjäger steht vor der Tür.


Für viele Leser sind Sie viel zu radikal.

Es ist schon seltsam, wie eintrainiert unsere Sicht der Dinge ist. Sie verwenden den Ausdruck 'radikal' wie üblich für die falsche Seite der Medaille. Das Normale wird immer dann radikal genannt, wenn das Radikale zur Normalität geworden ist. Ich finde es radikal, ...

Soll ich weiter aufzählen? Wald, Boden, Wasser, Wirtschaftswachstum, WHO, etc. etc. Wir scheinen das Gespür vollständig verloren zu haben für Normalität, für überlegtes, ethisches Handeln und nennen radikal, was völlig richtige Forderungen nach Mäßigung und Vernunft sind. Unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsform ist das Radikalste und Zerstörerischste, was es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat. Wir sind als Plünderer unterwegs, als Vernichter und Verwüster, finden das völlig normal und nennen die radikal, die dagegen angehen... Das ist komplett verdreht! Noch einmal der Dalai Lama:

"(...) wir werden nicht überleben, wenn wir weiter gegen die Natur arbeiten. (aao, S. 173)


In diesem Sinne sprechen Sie wohl auch vom Holocaust an künftigen Generationen?

Man kann es nicht deutlich genug sagen: Was wir heute durch unseren zerstörerischen Umgang mit der Umwelt, durch unseren irrwitzigen Konsum und unsere Verschwendung von allem und jedem anrichten, wird die Ursache für den Tod von schieren Massen zukünftiger Menschen sein. Die direkte ursächliche Beziehung zwischen unserem plündernd-verschwenderischen Lebensstil und dem Armuts- und Gewalttod von Menschen um das Jahr 2100 wird dereinst historisch rekonstruierbar sein. Wir begehen heute den größten Massenmord aller Zeiten.

Hans Jonas formulierte 1979 zu Recht den kategorischen Imperativ Kants in einen ökologischen Imperativ um:

"Handle so, dass die Wirkungen deines Handelns verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." (In: "Das Prinzip Verantwortung", 1979)

Wir tun heute das genaue Gegenteil! Wir müssen endlich die Begriffe wieder scharf machen, mit denen wir bezeichnen, was heute geschieht:

Alles drumherum reden, rechtfertigen und entschuldigen nützt nichts und verschleiert die unumstößlichen Tat-Sachen bloß: Die tödlichen Gefährdungen der Menschen von morgen hängen ursächlich von unserem Handeln heute ab. Warum wir das nicht erkennen und nicht wahrhaben wollen, hängt von unserer zeitlich so kurzphasigen Auffassungsgabe ab. Wir können oder wollen längere Zeiträume nicht bedenken, schlimmer noch: Es ist uns egal, was in 100 Jahren passiert, vergiss in 500, 2‘000, 10‘000.

(15. Mai 2010)

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